Bedeutung von Shivaratri

Sein Haupt mit der Mondsichel geschmückt,
das kühle Gangeswasser durch die verfilzten Locken fließend,
das strahlende (dritte) Auge mitten auf der Stirn,
der purpurne Nacken gleich einer Brombeere schimmernd:
So hat der Herr von Kailâsa (Shiva) seine göttliche Gestalt manifestiert.
Er trägt Schlangen als Armreifen und einen Schlangengürtel,
sein gesamter Körper ist mit Vibhuti eingerieben,
und seine Stirn ziert ein Punkt aus (rotem) Kumkum.
Seine rötlichen Lippen leuchten vom Betelsaft und
an seinen Ohren schwingen mit Diamanten bestückte goldene Ohrringe.
Sein gesamter dunkelhäutiger Körper strahlt mit göttlichem Licht.

Shivaratri ist die Nacht (rātri) des großen Gottes Shivas. Shiva verkörpert den dritten Aspekt der Hindutrinität Brahma, Vishnu und Shiva und steht für Auflösung, Zerstörung und Transformation. Shiva zerstört in diesem Aspekt unsere Bindungen, unsere Unwissenheit und Weltlichkeit, er steht für Entsagung und gewährt Weisheit. In einer anderen Tradition des Hinduismus (Shaivaiten) wird Shiva als der höchste Gott verehrt, der alle Aspekte in sich verkörpert. Shiva bedeutet wörtlich „segensreich, Glück bringend, gnadenvoll, gütig, freundlich“; Shivaratri ist also eine heilige, Segen bringende, gnadenreiche Nacht. Ein „kleines“ Shivaratri findet in jedem Monat in der Neumondnacht statt. Mahashivaratri, die große Nacht Shivas, wird in der Neumondnacht des Monats Magha (bei uns die Zeitspanne von ca. Mitte Februar bis Mitte März) gefeiert; es ist die dunkelste Neumondnacht des Jahres.

Shivaratri wird deshalb in der Neumondnacht gefeiert, weil zwischen unserem Gedanken- und Gefühlsbereich (Sanskrit: manas/ englisch: mind) und dem Mondzyklus ein enger Zusammenhang besteht und unsere Gefühlswelt stark vom Mond beeinflusst wird. So ist unsere Gedanken- und Gefühlswelt in der abnehmenden Mondphase vergleichsweise schwächer als in der zunehmenden Mondphase und an Vollmondtagen. Um unsere Göttlichkeit zu verwirklichen und mit dem göttlichen Bewusstsein eins zu werden, müssen wir unsere Gedanken- und Gefühlswelt völlig überschreiten. In der Neumondnacht ist es leichter, unsere Gedanken und Gefühle zu beherrschen und uns ganz auf Gott zu konzentrieren. Wie Swami in seinen Shivaratriansprachen wiederholt erklärte, sind in dieser Shivaratrinacht entsprechend dem Mondzyklus bereits 14 bzw. 15 Aspekte des Gedanken- und Gefühlsbereichs verschwunden. Wenn man in dieser Nacht wach bleibt und seine Gedanken und Gefühle ganz auf das Göttliche konzentriert, wird sogar dieser eine Aspekt verschwinden, und es ist möglich, die Vereinigung mit dem Göttlichen zu erreichen: „Es ist ein leichter Weg, den ihr in dieser Nacht gehen könnt. Ihr solltet diese Nacht wach bleiben, Gottes Herrlichkeit besingen und euer Leben heiligen; darin liegt die innere Bedeutung dieser Nacht…Die Nacht repräsentiert Dunkelheit, die Kombination emotionaler und tierischer Aktivitäten. Die Nacht, die eher dumpf und passiv ist, muss in den reinen, heiligen Tag verwandelt werden.“ (Shivaratri, 25.2.1998).

Shiva wird in Form des Lingams verehrt. Von 1999 bis 2004 und 2006 brachte Swami diesen Lingam wieder in der Öffentlichkeit aus seinem Körper hervor, ein Vorgang, der Lingodbhava genannt wird. Linga bedeutet wörtlich Symbol, udbhava bedeutet Geburt oder Schöpfung. Der Lingam in der Form eines Eis ist Symbol für die formlose Göttlichkeit, die Form annimmt; denn der Lingam besitzt keine Gliedmaßen, keine Augen, Hände, Füße etc., er hat weder eine Vorder- noch eine Rückseite, weder Anfang noch Ende; es ist sozusagen eine formlose Form oder, wie Sai Baba sagt, die geeignetste Form, um die formlose Göttlichkeit zu repräsentieren.

Die Hervorbringung des Lingams aus Swamis Körper ist ein Schöpfungsakt und eine Wiederholung des ursprünglichen und sich ständig wiederholenden Schöpfungsaktes, eine symbolische Geburt Gottes in Zeit und Raum. „Li“ steht für „liyate“, das bedeutet: „das, in das alle Namen und Formen eingehen“, „gam“ für „gamyate“: „das, wohin alle Formen sich entwickeln“. So steht der Lingam sowohl für den Schöpfungsakt, die Erschaffung und Manifestation der Formen aus dem Formlosen, als auch für die Rückkehr der Formen in das Göttliche, die Verschmelzung und Wiedervereinigung mit dem Göttlichen. Alles beginnt im Lingam und geht wieder in ihn ein.

Die Lingams, die Swami 1999 bis 2004 und dann wieder 2006 in der Öffentlichkeit aus seinem Körper hervorbrachte, hatten die Form eines goldenen Eis, „Hiranyagarbha“ genannt. „Hiranya“ bedeutet „Gold“, „garbha“ „Bauch, Leib, Keim“; es ist der goldene Keim, das goldene Ei, aus dem die Schöpfung hervorgeht. Wie Swami in der Shivaratrirede 2002 sagte, ist diese göttliche Essenz, aus der sich der Lingam formt, in jedem Menschen anwesend. Wer Lingodbhava erlebt hat, muss die Heiligkeit und das Licht dieses Ereignisses gespürt haben.

Der Lingam ist ein Symbol für die Verschmelzung, die Vereinigung mit dem Göttlichen. 1999, als Swami erstmals nach über 20 Jahren überraschend den Lingam wieder in der Öffentlichkeit aus seinem Körper hervorbrachte, gab er den anwesenden Devotees in dem Jahr 1999 folgendes Gnadengeschenk: Wer gesehen hatte, wie dieser Lingam aus Swamis Körper hervorkam, würde nicht mehr wieder geboren. Oftmals brachte Swami in dieser Nacht nicht nur einen, sondern mehrere Lingams aus seinem Körper hervor. Wie Swami sagte, geschah diese Hervorbringung des Lingams immer, auch wenn er es nicht in der Öffentlichkeit getan hat.

Hiranyagarbha befindet sich in jedem von uns: „Es gibt keinen Menschen ohne Liebe, und ohne Liebe gibt es kein Leben. Dieses Liebesprinzip ist Hiranyagarbha. Diese Liebe in Form von Hiranyagarbha ist auf der rechten Seite des Körpers. Das physische Herz liegt auf der linken Seite…Hiranyagarbha ist ewig, unsterblich, voller Liebe, göttlich und allumfassend. Er ist im Herzen eines jeden, nicht nur in Menschen, sondern auch in Vögeln und Tieren. Die Veden erklären: Gott durchdringt den gesamten Kosmos; Gott ist in allen Lebewesen. Diese Verkörperung des Hiranya ist in allen Wesen. Aus diesem Hiranya entsprang die Liebe. Liebe ist die Widerspiegelung, der Widerhall und die Reaktion von Hiranyagarbha…Aus Hiranyagarbha strömt heilige, selbstlose Liebe.“

Swami betonte wiederholt, wie wichtig und segensreich es ist, diese eine Nacht wach zu bleiben und sich auf Gott zu konzentrieren: „Verbringt wenigstens diese eine Nacht damit, Gottes Namen zu besingen. Dann wird euer Leben wertvoll. Eine Nacht im Jahr! In Wahrheit verschwendet ihr so viele Nächte. Dies ist Shivaratri, die Nacht Shivas – alles andere ist Shavaratri, die Nacht der Toten. Gegenüber den vielen übrigen toten Nächten ist dies die Nacht des Lebens.“ (Ansprache Shivaratri, 25.2.1998).

Susan Boenke, Prashanti Nilayam

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