Die Chance deines Lebens

Der Shed

Auszüge aus dem Buch «Die Chance deines Lebens» von Howard Levin, 2023

Eines Nachmittags kam Swami in unser Zimmer. «Ich habe Arbeit für Euch», sagte Er, «Schildermalen». Am nächsten Tag rief uns Herr Surya in den ummauerten Shed (eine schuppenartige Unterkunft) auf der anderen Seite des Mandirs, in dem einige indische Frauen lebten. Sie waren gebeten worden, den Shed am Vormittag zu verlassen, und Sevadal brachten grosse Steinplatten herein. Dann wurden wir mit den Platten allein gelassen.

Das Innere des Schuppens bestand aus einem grossen rechteckigen Raum mit einem Steinfussboden. Das Dach war aus Wellblech und ruhte auf Stahlträgern. Die Wände reichten nicht bis zum Dach, sondern liessen einen Freiraum von mehreren Fuss für Luft und Licht. [...]

Herr Surya kam mit Farbe und Pinseln zurück. Die Tür wurde aufgerissen, und Swami kam herein, begleitet von Herrn Kasturi. Wir standen alle auf. ln Seiner Hand hielt Er einige Papiere, auf die Er eine Reihe von Sprüchen geschrieben hatte. Diese lauteten:

MACH DEIN LEBEN ZU EINER ROSE, DIE LEISE IN DER SPRACHE DER LIEBE SPRICHT. DU BIST DIE VERKÖRPERUNG GOTIES. ERFÜLLE DICH MIT DEM GEDANKEN AN DEINE ALLMACHT, DEINE MAJESTÄT UND DEINE HERRLICHKEIT.

REINHEIT IST GLEICHBEDEUTEND MIT GOTIESFURCHT.

ZERREISSE DEN SCHLEIER DER UNWISSENHHEIT, ÖFFNE DIE TORE DER WEISHEIT, BETRITI DIE WOHNSTÄTIE DER GLÜCKSELIGKEIT, RUHE FÜR IMMER IN FRIEDEN.

BEGINNE DEN TAG MIT LIEBE, FÜLLE DEN TAG MIT LIEBE, BEENDE DEN TAG MIT LIEBE. DIES IST DER WEG ZU GOTI, DENN GOTI IST LIEBE.

GOTI ZU VERGESSEN IST EINE SÜNDE.

Swami kam acht bis neun Tage lang morgens und abends in den Shed, während wir die Tafeln bemalten. Er verbrachte jedes Mal mindestens zwei bis drei Stunden mit uns, oft kam Er direkt vom Mandir zu uns, sogar ohne einen öffentlichen Darshan zu geben.

Jeden Tag kam Swami mit einem neuen Spruch in den Shed, den Er auf Englisch auf lose Papierstücke geschrieben hatte. Er las sie uns stolz vor, und wir durften die Sprüche auswählen, die wir auf die Schilder malen wollten. Während dieser wunderbaren Treffen mit Swami waren dreizehn westliche Männer anwesend, Herr Kasturi, Shirdi Ma, Patabi (ein junger Student aus Hyderabad) und June Schuler aus Santa Barbara in Kalifornien.

 

Eines Abends wurden wir von Mr. Surya gerufen. «Nur alle Aschram Bewohner» lautete Swamis Anweisung. ln der Bhajan-Halle versammelten sich die Bewohner des Aschrams und die Westler. Wir warteten zehn Minuten lang. Als Swami hereinkam, sah Er nicht erfreut aus. Er sprach in Telugu. Sein Ton war fest, aber sanft, und ich konnte das Feuer in Seiner Stimme hören, als Er die alten Bewohner über Disziplin und Verhalten ausschimpfte. «Die Bhajans sind so schlecht, dass Ich mir am liebsten Watte in die Ohren stopfen und auf Mein Zimmer gehen würde. Die Frauen sind den ganzen Tag so sehr mit Klatsch und Tratsch beschäftigt, dass sie nicht einmal fünf Minuten Zeit haben, an Swamiji zu denken. Einige hier schicken Mir Briefe, in denen sie schreiben, dass ihre Zimmer gestrichen werden müssen. Bin Ich dafür auf die Erde gekommen? Wenn ihr spirituelle Angelegenheiten habt, dann wendet euch an Mich. Ansonsten verschwendet nicht Meine Zeit. Andere schicken Briefe, in denen sie sich über das Verhalten einiger junger Frauen beschweren. Aber diese Leute verbreiten falsche Gerüchte. Denken sie, Ich wüsste nicht, was vor sich geht? Wenn Mir jemand solche Briefe schickt, zerreisse Ich sie und stelle die Person in der Öffentlichkeit auf und werfe sie raus. Ich denke sogar daran, alle bis auf drei Personen vor Dasara wegzuschicken! Ihr räumt den Aschram nicht auf, es liegt überall Müll herum. Wenn ihr euch nicht ändert, werde Ich die Bhajans absagen und keinen Darshan mehr geben. Ich bin ganz Liebe und Glückseligkeit, denkt daran, wie schlecht ihr sein müsst, um Mich so reden zu lassen.»

Ich dachte sofort an das Chaos, das wir im Schuppen hinterlassen hatten, an die nicht abgedeckten Farbdosen, die ungewaschenen Pinsel und die verstreuten Zeitungen.

Sobald Seine Ansprache zu Ende war, eilte ich zurück in den Shed, um aufzuräumen. Ich war ganz allein dort und brachte alles in Ordnung. Als ich fertig war und gehen wollte, wurde die Tür plötzlich aufgerissen. Swami kam herein und trug ein breites Lächeln. Er ging in den hinteren Teil des Sheds, wo die Schilder lagen, und ich folgte Ihm zitternd. «Wo sind die anderen?», fragte Er.

«Sie müssen auf ihre Zimmer gegangen sein, Swami.» Meine Knie zitterten, so heftig war Seine Schelte im Mandir. Ich dachte, ich würde sicher noch mehr verbale Prügel bekommen.

Aber stattdessen lächelte Er mich an und fragte: «Wie hat dir Meine Ansprache gefallen? Wenn Ich das alle zwei Wochen mache, ist das die nächste gute Disziplin!» Wie erleichtert fühlte ich mich. Nur ein paar Minuten zuvor schien Er so wütend zu sein, jetzt war Er voller Glückseligkeit, völlig unbeeindruckt von der Rolle, die Er im Mandir gespielt hatte.

Als Er ging, folgte ich Ihm aus dem Shed, blieb aber kurz stehen. Ich beobachtete Ihn, als Er die Frauenseite durchquerte und gelegentlich mit der Hand in der Luft in einer kreisförmigen Bewegung winkte, die Handfläche nach oben gerichtet.

Am nächsten Morgen kam Er wie üblich gegen neun Uhr in den Shed. Er war in einer sehr spielerischen Stimmung und begann, sich im Shed umzusehen. [......]

Er kam herüber, um unsere Arbeit zu begutachten. Peter hatte ein Schild gemalt, das ein wenig schlampig war. Ich war neben ihm und gestaltete meines. Da ich eine künstlerische Ausbildung hatte war ich im Vorteil. Swami sah sich Peters Schild an, dann sah Er sich meins an. «Das ist ein zerknitterter Pyjama», sagte Er und zeigte auf Peters Zeichnung. «Und das ist ein Abendkleid», sagte Er und schaute auf meines. Ich hatte zwei Hände zum Gebet gemalt, um den unteren Bereich der Platte auszufüllen. Er schaute sie an. «Weisse Fingernägel bedeuten Krankenhauspatienten. Färbe sie rosa. Rosa Farbe bedeutet gute Gesundheit.» Er ging weiter herum, begutachtete unsere Arbeit und hatte zu jedem eine Bemerkung. «Für die beste Tafel gibt es einen Preis», hatte Er uns am ersten Tag im Shed gesagt. «Wollt ihr Ringe, Uhren, Japamalas? Alles, was ihr wollt. Ich bin immer bereit!» Er lächelte.

«Wir wollen Interviews, Swami», sagte Bruce.

«Interviews? Nein, Sir, nimm doch einen Ring oder eine Uhr oder eine Japamala.»

Wir flehten, dass wir lieber einfach Zeit mit Ihm verbringen wollten. Er sagte nichts. Aber Er kam jeden Tag in den Shed, sogar zweimal am Tag. Wir hatten achtzehn Interviews in neun Tagen. [...]

Einmal, während des Zeichnens, versammelte Er uns in einem Halbkreis. Er nahm ein Stück Kreide und zeichnete eine Linie an die Wand. Wie kann man diese Linie kleiner machen, ohne sie zu berühren?", fragte er. Wir standen da und wussten nicht, was wir antworten sollten. Er nahm die Kreide und zeichnete eine längere Linie darüber. «Seht ihr», fuhr Er fort, «versucht niemals, euch selbst grösser zu machen indem ihr die Fehler anderer findet. Macht euch vielmehr grösser indem ihr eure eigenen Fehler loswerdet.» [.....]

Wir stellten die Tafeln fertig, und Swami war sehr zufrieden. Aber die Tage im Shed waren nun vorbei. «Good Chances» hatte Er gesagt. Keiner von uns erkannte wirklich die Gnade, die wir erhalten hatten. Wir hatten so viel gesehen und gehört, viel mehr, als wir verstehen konnten. ln einem Moment war Sai Baba ein verspieltes Kind, im nächsten Moment unser Meister, dann unser bester Freund und Wohltäter. Wir teilten eine Vertrautheit und Wärme mit Ihm, die uns alle durch Liebe verband, jenseits unserer Persönlichkeiten und Egos, sogar jenseits der Zeit. Indem Er Herrn Kasturi und Shirdi Ma Seine aufrechten Männer spielen liess, gewährte Er uns einen Einblick in die besondere Beziehung zwischen Ihm und Seinen engsten Devotees. Wenn ich die Wahl hätte zwischen der Befreiung oder dem Wiedererleben dieser neun Tage, würde ich wahrscheinlich diese wunderbare Zeit im Malschuppen wählen.

Zurück